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Nachdenklich blickt er in den Garten hinaus.
"Siehst du den Weg da draußen?"
"Den Gartenweg?"
Er schüttelt den Kopf und deutet auf einen Trampelpfad in der Wiese, wo das Gras niedergetreten ist, sodass man darunter die Erde sieht. "Den Weg hast du gemacht."
"Was?" Jetzt bin ich endgütlig verwirrt.
"Als kleines Mädchen", ergänzt er. " In der Gartensprache nennt man so etwas >Wunschlinie<. Das sind Pfade und Wege, die Leute ganz allein für sich selbst machen. Du hast schon immer die Wege vermieden, die andere gemacht haben, Liebes. Du bist deinem eigenen Weg gefolgt, selbst wenn du am Ende zum gleichen Ziel gekommen bist wie alle anderen. Vorgeschriebene Routen waren dir von jeher suspekt", meint er und lacht in sich hinein. "Ja, du bist eben die Tochter deiner Mutter, du gehst Abkürzungen und erschaffst spontan neue Wege, während ich auf den großen, vielbenutzten Straßen bleibe und Umwege in Kauf nehme. Wehmütig lächelnd gibt er sich seinen Erinnerungen hin.
Nachdenklich studieren wir beide den Trampelpfad, der die Wiese durchquert und schließlich zum Weg zurückführt.
"Wunschlinien", wiederhole ich gedankenverloren und sehe mich als kleines Mädchen, als Teenager, als erwachsene Frau, wie ich jedes Mal diesem Trampelpfad folge und ihn weiter autrete. "Vermutlich sind Wünsche einfach nicht geradlinig. Es gibt keinen direkten Weg, auf dem man das bekommt, was man sich wünscht."