Ich sehe dich an. Sehe, wie du mit unserem Sohn hinter dicken Fichten Verstecken spielst. Ich habe mich auf einem Baumstumpf niedergelassen, versuche gegen die Herbstsonne zu blinzeln, jeden einzelnen Sonnenstrahl erhaschend.
Ich sehe dich an, wie du unseren Sohn zum Lachen bringst, bis Funken voller Fröhlichkeit zwischen den Tannenwipfeln tanzen. Er jauchzt und wirft einen Tannenzweig nach dir, du konterst mit einem Kiefernzapfen und schon messt ihr eure Kräfte.
Ich sehe dich an und liebe dich. Alles in mir möchte dich umarmen, dich einfangen und nie mehr los lassen. Jetzt siehst du zu mir hinüber, ich winke dir und lächle. Wie lange ist es schon her, dass ich dir gesagt habe, was du mir alles bedeutest.
Ich sehe dich an. Du bist mein zweites Ich. Du hast mir immer Kraft und Mut gegeben, mich unterstützt, mich berührt. Du hast mich fortgetragen mit Wünschen und Träumen, mich verwöhnt mit Erfüllungen und Bereicherungen, hast mich gefordert und beschützt. Kein Tag mit dir war alltäglich, mal außergewöhnlich, mal phantasievoll und manchmal einfach zärtlich. Wie in einem Glücksrausch wurden die Sekunden zu Stunden. Ich kann dich fühlen, selbst jetzt, während du dich hinter der großen Tanne am Bach versteckst.
Ich sehe dich an. Als unser Sohn geboren wurde, blickten wir auf ihn hinab und wussten, dass wir beide unser Bestes für dieses kleine Geschöpf gegeben hatten. Jedes Lächeln von ihm ließ unsere Herzen im Gleichklang höher schlagen. Unsere Liebe und Sorglosigkeit ließen aus ihm diese kleine Persönlichkeit werden. Er hat dich hinter der Tanne entdeckt und stolpert. Du hilfst ihm hoch und tröstest ihn. Ich bewundere deinen Sanftmut, der seine Schmerzen schnell vergessen lässt. Du beginnst mit dem Versteckreim. Wir haben soviel erreicht, haben bewiesen, dass wir alles schaffen können was wir wollen - fast alles. Wir sind stolz aufeinander und denken aneinander - jeder auf seine Weise.
Ich sehe dich an. Du siehst glücklich aus. Du blickst nach oben in das bunte Blättermeer des Ahornbaumes. Das schönste Blatt fällt dir vor die Füße - ein Gruß von mir. Während du es aufhebst und unserem Sohn schenkst, weht der lauwarme Herbstwind die anderen davon. Er greift in seine Tasche und zieht einen kleinen Stoffbeutel heraus. Unsere Wichteltasche - für all die Schätze, die wir im Leben und beim spazieren gehen finden, wie der Topf am Ende des Regenbogens.
Ihr seht euch an. Vater und Sohn, der Kleine ein Abbild des Großen. Er hat deinen Mund, der so gerne lächelt, deine Ohren, die dabei ein wenig wackeln und deine Augen, in denen ich so gerne versinke. Ich habe ihm meine Fröhlichkeit geschenkt und dieses verschmitzte "Etwas" in den Augen, wenn er einen Streich ausheckt. Ihr balanciert auf den Baumstämmen, ein Eichhörnchen sieht euch vom Zweig aus zu. Ich liebe diese Momente, genieße den Wald, die Sonne und euch. Ihr geht weiter und ich bleibe noch einen Moment. Du drehst dich noch einmal um.
Du siehst mich an, als könntest du mich hier sitzen sehen und doch kannst du mich nur erahnen. Dein Blick ist jetzt wieder so voller Traurigkeit. Mein Geliebter, alle Tränen sind geweint. Lächele, und denk nicht mehr an meinen Tod. Lebe und lache für uns beide.